Homeschooling und „Social Distancing”

Diese beiden Worte werden wohl in die Geschichtsbücher eingehen, jedoch mit einem bitteren Beigeschmack.

Seit einigen Wochen ist die Schule leer, die Wecker bleiben stumm und der normale Alltag findet nicht mehr statt. Stattdessen kommt die Schule nach Hause. Das Mail-Postfach ist voll von oben bis unten, die Stromrechnung und die Kosten für Papier und Tinte steigen ins Unermessliche und man macht den ganzen Tag nichts als Schule. So sieht Unterricht in Corona-Zeiten aus, und keiner hatte dieses Ausmaß erwartet.
Um den 10. März 2020 war klar: Die Abiturienten bleiben zu Hause und kommen nur zu ihren Prüfungen in die Schule, um sich nicht mit dem Coronavirus zu infizieren. Ich erinnere mich noch an genau diese Durchsage am 12. März, die durch die Flure und Klassenzimmer der Leibnizschule hallte. Da war noch nicht die Rede von Schließungen der Schulen für alle Schülerinnen und Schüler. Am Tag darauf sah es schon anders aus: Die meisten waren sicher, dass es erst mal nicht weitergehen würde, wie normal. Die Hoffnung in meiner Klasse kam auf, die Deutschklausur am Montag ginge an uns vorbei. Und so kam es dann auch. Ich hatte an diesem Freitag Sport in der 7. und 8. Stunde. Nach der Sportstunde wendeten sich sofort alle Blicke den Handys zu, um auf dem neusten Stand zu sein und ein Jubeln ging durch die Halle: Bis zu den Osterferien keine Schule. In der Kabine fiel dann der Satz: „Ich mache lieber alles zu Hause. Den ganzen Stoff, den wir an fünf Tagen durchnehmen, bekomme ich locker an zwei Tagen hin.”
Ich war von Anfang an skeptisch. Und mein Gefühl bewahrheitete sich. Diese Aussage war bestimmt nicht umsetzbar, denn gerade in der ersten Woche wurden wir mit Material nur so überschüttet. Seither ist der Computer mein treuester Begleiter. Recherchieren, schreiben, Mails verschicken und ab und zu eine Videokonferenz. Auch wenn ich schnell zu einer neuen Routine kam, ich kam nicht hinterher. Lange schlafen, frühstücken und dann ab an den Computer bis 15.00 Uhr, eine Mittagspause und danach gleich weiter. Ab und zu nahm ich mir die Zeit, mal für eine Stunde raus zu gehen, doch zu mehr kam ich nicht. Deshalb folgten Umfragen, sei es von den Klassen- und Schulsprechern, oder auch von den Elternbeiräten. Ist der Stoff zu viel oder zu schwierig, klappt das mit dem alleinigen Lernen? So lief es drei Wochen lang, relativ unkoordiniert, denn diese Situation gab es noch nicht, weder für die Lehrer noch für uns, jedoch waren von Zeit zu Zeit Fortschritt zu erkennen.
Was war ich froh, als endlich Osterferien waren. Ich brauchte die Ferien noch nie so dringend, wie nach diesen drei Wochen Homeschooling! Nach den Ferien ging es gleich weiter. Moodle sollte nun die Mails ersetzen, doch auch das lief nur holprig. Der Server war überlastet, was ja nicht vorhersehbar gewesen war. Dass plötzlich eine sehr große Anzahl an Schülern gleichzeitig das System benutzen möchten, damit konnte ja keiner rechnen. Und auch die Lehrer hatten ihre Probleme: „Ich moodle noch etwas herum, da die Benutzerführung für mich etwas neunziger Jahre anmutet”, schrieb Herr Kremp an die Klasse und Frau Will „kann es immer noch nicht glauben”, dass sie sich nach zwei Wochen endlich bei Moodle anmelden konnte. Doch auch das wird von Tag zu Tag besser und die Arbeitsaufträge nehmen seither immer mehr ein schaffbares Pensum an.
Ich möchte mir nicht vorstellen, wie die Situation für die Abiturienten sein muss. Man steht kurz vor den entscheidenden Prüfungen und ist auf sich alleine gestellt. Man kann weder den Lehrer noch die Freunde fragen, wenn sich Probleme ergeben, da „Sozial Distancing” einzuhalten ist. Zudem ist meist die komplette Familie zu Hause. Vielleicht ein kleiner Bruder oder eine kleine Schwester, denen langweilig ist. Man kann sich nicht ablenken, mal auf andere Gedanken kommen, weil alles zu ist, man zu Hause bleiben soll. Irgendwann kann auch die Familie nerven. Und so soll man einen kühlen Kopf bewahren und sich in Ruhe auf die Prüfungen vorbereiten? Und hat man dann die erste, zweite oder dritte geschafft, darf man sich nicht mit den Freunden austauschen, sich in die Arme fallen, sondern muss sofort nach Hause. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, fällt auch noch der Abiball aus und alles sonst, was zum Abitur nun mal dazu gehört.
Um die Stimmung etwas hochzuhalten und uns zu ermöglichen, trotz Corona in die Schule zu gehen, startete Herr Gück eine Challenge. Wer mochte, konnte eine Strophe zu unserer Schulhymne schreiben, in der er die Erfahrungen der Isolation und beim Homeschooling teilte. Diese wurden dann von Herrn Gück vertont und er erstellte daraus einen „Corona-Kalender”, indem er jeden Tag ein „Türchen” der Schule öffnete. Viele machten mit und alle Strophen handelten von den vielen Aufträgen, der Einsamkeit und besonders, dass man wieder in die Schule möchte und seine Freunde treffen will. 
Wir alle sind nun schon sieben Wochen zu Hause und vor kurzem kam die Nachricht, dass es wohl dieses Schuljahr keinen regulären Unterricht mehr geben wird. Keiner weiß, wie lange die Situation so bleibt oder wie es weitergeht. Die Q2 darf wieder in die Schule, aber nur in geteilten Klassen und mit hohen Hygieneauflagen. Der Rest wartet sehnsüchtig auf Normalität und darauf, die Freunde wiederzusehen. Wer hätte vor Corona gedacht, dass die Schülerinnen und Schüler es mal bedauern, nicht zur Schule gehen zu dürfen und sich darauf freuen, wenn endlich wieder der Wecker klingelt.

 Text: Lauritz Rößler